Brüssel/München — Die Europäische Union bleibt ein zentraler Umschlagplatz und Zielort für Wildtiere, die aus Amerika, Afrika, Osteuropa, Asien und Ozeanien „gestohlen“ werden. Der heute veröffentlichte neue Bericht von Pro Wildlife, Humane World for Animals, International Fund for Animal Welfare, Vier Pfoten und der Wildlife Conservation Society zeigt, dass strengere Gesetze und das Schließen gravierender Gesetzeslücken nötig sind. Stolen Wildlife: The EU’s role as destination for wildlife traffickers – an update zeigt, wie die EU die Nachfrage nach diesem illegalen Handel antreibt. Beim Handel mit in Gefangenschaft gehaltenen Wildtieren geht es um das Schmuggeln von Arten aus aller Welt, darunter auch Arten, die in ihrem Herkunftsland national geschützt sind.
Die Europäische Union gehört zu den größten Wildtierimporteuren weltweit. Nur ein kleiner Teil der gehandelten Arten fällt unter internationale und/oder EU-Vorgaben; viele in der EU gehandelte Wildtierarten stehen jedoch unter nationalem Schutz. Diese Arten werden oft in freier Wildbahn gefangen und entgegen den nationalen Gesetzen aus ihrem Herkunftsland exportiert. Der einzigartige Riesige Bronzegecko von den Seychellen und der Mazedonische Mohrenfalter aus Nordmazedonien – Europas am stärksten bedrohte Schmetterlingsart – sind nur zwei Beispiele für Arten, die von dieser Form des Wildtierhandels betroffen sind.
Dr. Sandra Altherr, Head of Science bei Pro Wildlife, sagt: „Wildtierhändler*innen verkaufen illegal erworbene Tiere in der EU ganz offen, weil sie genau wissen, dass sie aufgrund der bestehenden Lücken in der EU-Gesetzgebung ohne Konsequenzen davonkommen. Skrupellose Kriminelle können viel Geld verdienen, ohne nennenswerte rechtliche Risiken einzugehen. Und die globale Artenvielfalt bezahlt den Preis dafür.“
Ilaria Di Silvestre, Director of Policy and Advocacy for Europe bei IFAW, ergänzt: „Das Internet spielt in diesem Geschäft eine zentrale Rolle, weil es Händler*innen und Kundschaft aus aller Welt rund um die Uhr direkt miteinander verbindet. Der unzureichend regulierte Online-Handel mit geschützten Arten stellt die Strafverfolgungsbehörden vor enorme Herausforderungen. Der illegale Wildtierhandel ist dynamisch; illegal beschaffte Arten werden schnell online verkauft und sind bei europäischen Sammler*innen und Haustierhalter*innen sehr gefragt. Diese Gesetzeslücken machen arglose Internetnutzer*innen ungewollt mitschuldig.“
Dr. Joanna Swabe, Senior Director for Public Affairs bei Humane World for Animals Europe (ehemals Humane Society International), betont: „Vor fünf Jahren versprach die Europäische Kommission in ihrer Biodiversitätsstrategie 2030, den illegalen Wildtierhandel zu bekämpfen, doch – wie unser Bericht zeigt – floriert dieser Handel weiterhin. Es ist höchste Zeit, dass die Kommission ihren Worten Taten folgen lässt und ergänzende Gesetzgebung entwickelt, um den Handel mit Wildtieren zu kriminalisieren, die entgegen den Gesetzen von Nicht-EU-Ländern entnommen wurden.“
Aubrey Collins, EU Wild Animal Policy Apecialist bei Vier Pfoten und internationale Wildtierjuristin, verweist auf die Ergebnisse einer von der EU-Kommission beauftragten Studie zur Kriminalisierung des Handels mit illegal beschafften Wildtieren: „Diese Studie bestätigt, was Rechtswissenschaftler*innen und Expert*innen seit Jahren sagen: Die Kriminalisierung von national geschützten Arten erfordert nicht, dass Gerichte ausländisches Recht anwenden. Diejenigen, die illegal handeln, werden immer raffinierter bei der Auswahl der Arten, die sie ins Visier nehmen; es ist an der Zeit, dass die EU-Gesetze mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten.“
Der neue Stolen Wildlife-Bericht enthält Fallstudien aus 17 Ländern, die zeigen, wie globale Schmuggelnetzwerke die Nachfrage aus der EU bedienen. Er untermauert Meldungen von EUROPOL und den jüngsten World Wildlife Crime Report des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die das Wachstum dieses Geschäftsmodells unter Wildtierschmuggler*innen dokumentieren.
Der Bericht erscheint zu einem wichtigen Zeitpunkt: Die UN-Mitgliedstaaten beraten über Bedarf und Machbarkeit neuer Zusatzprotokolle zum UN-Übereinkommen gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, die voraussichtlich auch den Wildtierhandel abdecken sollen. Ein eigenes UNTOC-Protokoll wäre das erste internationale Abkommen, das sich ausschließlich auf den Wildtierhandel und andere Umweltverbrechen wie illegale Abholzung, Fischerei und Bergbau konzentriert.
Angesichts der zentralen Rolle der EU betont Alice Pasqualato, Global Policy Specialist für Umweltkriminalität bei Wildlife Conservation Society: „Die EU hat eine doppelte Verantwortung: die Lücken in ihrer eigenen Gesetzgebung zu schließen und die einmalige Chance zu nutzen, das erste globale Abkommen gegen Wildtierhandel zu unterstützen. EU-Verbraucher*innen müssen darauf vertrauen können, dass Wildtiere (und Wildtierprodukte), die auf den Binnenmarkt gelangen, legalen Ursprungs sind und dass sie nicht unwissentlich kriminelle Aktivitäten finanzieren.“
Der neue Stolen Wildlife-Bericht liefert nicht nur detaillierte Fallstudien aus verschiedenen Regionen, sondern zeigt auch, welche Maßnahmen Herkunftsländer ergreifen, um ihre einzigartige Artenvielfalt zu schützen. Dazu gehören jüngste Erfolge bei Beschlagnahmungen und Festnahmen in verschiedenen Ländern sowie formelle Vorschläge für die kommende CITES-Vertragsstaatenkonferenz in Usbekistan (24. November bis 5. Dezember 2025), den internationalen Handel mit endemischen Arten einzuschränken.
Die fünf Organisationen fordern die EU auf, rasch gesetzgeberisch tätig zu werden und ergänzende Vorschriften einzuführen, die die Gesetzeslücken in der aktuellen EU-Wildtierhandelsverordnung schließen, indem sie den Import, Verkauf, Kauf und Besitz von Wildtieren verbieten, die in ihren Herkunftsländern illegal erlangt wurden. Außerdem appellieren diese Organisationen an die EU, die Schutzvorschläge der von diesem Wildtierhandel betroffenen Länder auf der kommenden CITES-Konferenz zu unterstützen.
Der vollständige Stolen Wildlife-Bericht steht hier zum Download zur Verfügung.
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