BERLIN/BRÜSSEL – Die Europäische Union hat den Amerikanischen Nerz (Neogale vison) offiziell in die Unionsliste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung aufgenommen – ein Schritt, der ein effektives Verbot der Nerzpelzzucht in der EU einleiten könnte. Die Tierschutzorganisation Humane World for Animals Europe (ehemals Humane Society International) warnt jedoch davor, dass die Nerzzucht weiterlaufen könnte, wenn die Europäische Kommission es den Mitgliedstaaten erlaubt, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen – und damit das Verbot faktisch aushebelt.
Die Organisation hat sich schriftlich an die Kommission gewandt und sie aufgefordert, keine Ausnahmen zu genehmigen, bevor sie ihren legislativen Vorschlag als Reaktion auf die Europäische Bürgerinitiative (EBI) vorlegt. Diese Petition mit 1,5 Millionen Unterschriften fordert ein EU-weites Verbot aller Formen der Pelztierzucht. Die Kommission hat zugesagt, ein mögliches Gesetzespaket zu prüfen, und wird voraussichtlich bis März 2026 einen entsprechenden Vorschlag einbringen – ein potenzieller Wegbereiter für ein umfassendes Verbot.
Dr. Joanna Swabe, Senior Director Public Affairs bei Humane World for Animals Europe, sagt: „Die Aufnahme des Amerikanischen Nerzes in die Unionsliste invasiver Arten sendet ein starkes Signal: Die ökologischen und ethischen Kosten der Nerzzucht sind nicht länger tragbar. Das sollte den Mitgliedstaaten eine klare rechtliche Grundlage geben, um Nerzfarmen zu schließen. Allerdings besteht die Gefahr, dass einzelne Länder an der Pelzzucht festhalten und versuchen, das Verbot zu umgehen. Die Priorität der Kommission muss es daher sein, dem Willen von über 1,5 Millionen Bürger*innen zu folgen und ein dauerhaftes EU-weites Verbot der Pelztierzucht aus ethischen, ökologischen und tierschutzrechtlichen Gründen auf den Weg zu bringen.“
Nach der Verordnung (EU) 1143/2014 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Zucht, den Verkauf, die Haltung, den Transport und die Freisetzung des Amerikanischen Nerzes zu verbieten. Gleichzeitig sollen sie betroffene Pelzfarmer*innen beim Ausstieg aus der Branche unterstützen – etwa durch Entschädigungen, Umschulungen und Programme zur beruflichen Neuorientierung.
Während das neue Verbot den Ausstieg in Ländern wie Spanien beschleunigen könnte – das bereits angekündigt hat, die Branche im Rahmen der Biodiversitätsstrategie zu beenden – könnten andere Länder wie Dänemark, Griechenland oder Finnland versuchen, über Ausnahmeregelungen weiterzumachen. Als der Marderhund 2019 in die Unionliste invasiver Arten aufgenommen wurde, nutzten Finnland und Polen die Ausnahmeregelung und erhielten eine Genehmigung, die Pelzzucht für 30 weitere Jahre fortzusetzen – trotz klarer Hinweise auf ökologische Schäden.
Dr. Swabe erklärt weiter: „Da ein unionsweites Verbot der Pelztierzucht in greifbare Nähe rückt, appellieren wir an die Kommission, bis zur Vorlage ihrer Gesetzesinitiative keine Genehmigungen für Ausnahmen zu erteilen. Eine voreilige Genehmigung würde nicht nur den Geist der EU-Umweltgesetzgebung untergraben, sondern auch dazu führen, dass Pelztierfarmen kostspielige Umbauten wie neue Zäune und Überwachungssysteme vornehmen – und das für eine Branche, die wirtschaftlich ohnehin am Ende ist. Das wäre eine Verschwendung öffentlicher Mittel, würde Tierleid verlängern und Umweltschäden fortsetzen. Die Kommission sollte das Ende der Pelztierindustrie nicht hinauszögern – und dem Leid ein Ende setzen.“
Hintergrund: Amerikanischer Nerz in Europa
Der ursprünglich aus Nordamerika stammende Amerikanische Nerz wurde im frühen 20. Jahrhundert nach Europa gebracht – für die Pelztierzucht und teils sogar gezielt zur Jagd freigesetzt. Millionen Tiere entkamen im Laufe der Jahre aus den Zuchtfarmen und bildeten verwilderte Populationen, die heute heimische Arten wie Wasservögel, Amphibien, Kleinsäuger und Fische gefährden. Auch der vom Aussterben bedrohte Europäische Nerz leidet unter dem Konkurrenzdruck, sodass seine Population weiter zurück geht.
Trotz sinkender Nachfrage und wachsender öffentlicher Ablehnung werden in der EU nach wie vor rund 6 Millionen Amerikanische Nerze in Ländern wie Polen, Spanien, Finnland und Griechenland in Pelztierfarmen gehalten – obwohl die Branche dort stark rückläufig ist (Stand 2024). 22 europäische Länder, darunter 16 EU-Mitgliedstaaten, haben die Pelztierzucht bereits verboten – darunter Estland, Lettland, Litauen und Rumänien. In Deutschland und Schweden gibt es keine aktiven Pelztierfarmen mehr.
Nach dem Erfolg der Europäischen Bürgerinitiative “Fur Free Europe” hat sich die Europäische Kommission verpflichtet, mögliche gesetzgeberische Schritte zum Ausstieg aus der Pelztierzucht zu prüfen. Der Prozess umfasst mehrere Etappen: Noch im Sommer 2025 wird ein „Call for Evidence“ veröffentlicht, bei dem Bürger*innen, NGOs, Industrie und Mitgliedstaaten ihre Ansichten zur Ausgestaltung eines Gesetzesvorschlags einbringen können. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wird zudem noch im Juli 2025 ihre wissenschaftliche Bewertung zur Haltung von Pelztieren veröffentlichen. Auf dieser Grundlage wird die Kommission voraussichtlich bis März 2026 einen Gesetzesvorschlag vorlegen – mit dem Ziel, sowohl die Pelztierzucht als auch den Handel mit Produkten aus Pelztierfarmen EU-weit zu beenden.
#
Passendes Bildmaterial von Nerzen kann hier heruntergeladen werden.