BERLIN/BRÜSSEL – Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat heute offiziell bestätigt, dass die Pelztierhaltung in der EU die grundlegenden Bedürfnisse von Nerzen, Füchsen, Marderhunden und Chinchillas nicht erfüllt. Daraufhin ruft die führende Tierschutzorganisation Humane World for Animals Europe (ehemals Humane Society International) die Europäische Kommission dazu auf, umgehend ein EU-weites Verbot der Pelztierhaltung auf den Weg zu bringen. Bereits 2023 hatten über 1,5 Millionen EU-Bürger*innen die Bürgerinitiative „Fur Free Europe“ unterzeichnet, mit der ein Verbot von Pelztierzucht und -handel gefordert wurde. Die Kommission hatte zugesagt, mögliche Maßnahmen zu prüfen, und will bis spätestens März 2026 einen Gesetzesvorschlag vorlegen.
Derzeit werden in Europa auf fast 1.200 Pelztierfarmen über 6 Millionen Nerze, Marderhunde, Füchse und Chinchillas gehalten – unter anderem in Finnland, Polen, Dänemark, Spanien und Griechenland. Inzwischen ist die Pelztierzucht in 22 europäischen Ländern, darunter 16 EU-Mitgliedstaaten, bereits verboten – zuletzt in Estland, Lettland, Litauen und Rumänien. In Deutschland gibt es seit 2019 aufgrund hoher Tierschutzstandards keine Pelztierfarmen mehr, ein offizielles Verbot gibt es aber nicht. Ähnlich ist die Situation in Bulgarien und Schweden.
Dr. Joanna Swabe, Senior Director Public Affairs bei Humane World for Animals Europe, sagt: „Das Gutachten der EFSA bestätigt, was Tierschützer*innen und Tierärzt*innen seit Jahrzehnten sagen: Die Haltung von Tieren wie Nerzen, Füchsen, Marderhunden und Chinchillas für Pelzmode in kleinen, kargen Käfigen führt – wenig überraschend – zu schweren, chronischen Tierwohlproblemen. Dazu gehören die Unterdrückung lebenswichtiger Verhaltensweisen, Stress, Verletzungen und gesundheitliche Beschwerden. Das erhebliche körperliche und psychische Leid, das das multinationale EFSA-Expert*innengremium im Detail beschreibt, ist mit modernen ethischen Tierschutzstandards völlig unvereinbar. Im gesamten Bericht kommen die Expert*innen zu dem Schluss, dass dieses Leid in den derzeitigen Pelztierfarmen weder verhindert noch wesentlich gemildert werden kann. Das ist ein vernichtendes Urteil, das der Pelztierindustrie jede Zukunftsperspektive nimmt.“
Zu den zentralen Tierschutzproblemen in den aktuellen Pelztierfarmen zählen laut EFSA-Gutachten:
- Käfige mit unzureichender Größe und Komplexität sowie „karge Haltungsbedingungen“, die die Bewegungsfreiheit stark einschränken, zusätzlich zu ungeeignetem Drahtgitterboden.
- Sensorische Unter- bzw. Überstimulation – je nach Tierart – mit chronischer Langeweile und/oder Stress als Folge.
- Unfähigkeit, grundlegende Verhaltensweisen wie Spielen, Erkunden, Futtersuche, Graben, Springen oder Kauen auszuleben – bei Chinchillas fehlt außerdem der Zugang zu Sandbädern, bei Nerzen der Zugang zu offenem Wasser zum Schwimmen.
- Stress, Aggression und Verletzungen, einschließlich Kannibalismus und Tötung von Jungtieren (Infantizid), ausgelöst durch Platzmangel, Überbelegung, falsche Gruppenhaltung (z. B. Kämpfe unter Käfiggenossen, Fellbeißen) oder Konkurrenz um Ressourcen.
- Angst und Stress durch fehlende Gewöhnung an Menschen sowie Verletzungen durch das Einfangen mit Nackenzangen – auch bei Zwangsbesamungen.
- Stereotype Verhaltensweisen wie monotones Hin- und Herlaufen und Kopfwippen.
- Lahmheit sowie Fehlstellungen der Beine bzw. schwache Beine.
- Magen-Darm-Erkrankungen und unzureichende Fütterung; langanhaltender Hunger oder übermäßige Fütterung – je nach Haltungssituation.
Dr. Swabe fasste zusammen: „Die Idee, dass die Pelztierindustrie ihre grausame Käfighaltung grundlegend reformieren könnte, ist realitätsfern – zumal es sich um einen eindeutig absteigenden Wirtschaftszweig handelt. Und selbst ein paar zusätzliche Quadratmeter Bodenfläche reichen bei Weitem nicht aus, um Füchsen, Nerzen oder Marderhunden auch nur annähernd einen natürlichen Lebensraum zu bieten – der aber entscheidend für ihr körperliches und seelisches Wohl ist. Die Grausamkeit der Pelztierindustrie hat in einem modernen, mitfühlenden Europa keinen Platz. Der einzig humane und ethisch vertretbare Weg ist jetzt ein EU-weites Verbot der Pelztierzucht – ohne Verzögerung. Ein solches Verbot wäre ein Meilenstein im Kampf gegen eine der schlimmsten und veraltetsten Formen von Tierquälerei in der EU – und würde zugleich die Stimmen von über 1,5 Millionen EU-Bürger*innen ehren, die die Europäische Bürgerinitiative für ein pelzfreies Europa unterzeichnet haben.“
Fakten über Pelz:
- Gesundheitsrisiko: Pelztierfarmen stellen ein Risiko für Zoonosen dar. Auf fast 500 Nerzfarmen in 13 Ländern in Europa und Nordamerika wurden Tiere mit COVID-19 infiziert, Millionen wurden aus Gründen des Infektionsschutzes getötet. Auch das aviäre Influenzavirus (HPAI H5N1) wurde bisher auf 72 europäischen Pelzfarmen festgestellt. Etwa 500.000 Nerze, arktische Füchse, Rotfüchse und Marderhunde wurden deshalb getötet.
- Umweltbelastung: Die CO₂-Bilanz von 1 kg Nerzpelz (309,91 kg CO₂-Äquivalent) ist 31-mal höher als die von Baumwolle, 26-mal höher als Acryl und 25-mal höher als Polyester. Auch Marderhund- und Fuchspelz haben eine extrem schlechte Klimabilanz – bis zu 23-mal schlechter als Baumwolle. Der Vergleich mit anderen tierischen Produkten zeigt: Die Zucht fleischfressender Tiere wie Nerzen belastet das Klima besonders stark – sie verursacht etwa siebenmal mehr Emissionen als die Produktion von 1 kg Rindfleisch.
- Mode ohne Pelz: Immer mehr führende Modemarken verzichten auf Pelz – darunter Max Mara, Saint Laurent, Gucci, Alexander McQueen, Balenciaga, Valentino, Prada, Armani, Versace, Michael Kors, Jimmy Choo, DKNY, Burberry und Chanel. Weltweit haben sich bereits über 1.600 Marken und Einzelhändler zu einer pelzfreien Unternehmenskultur verpflichtet. Pelz wird zunehmend als nicht mehr verkäuflich und ethisch nicht vertretbar wahrgenommen – viele Modehäuser setzen daher heute auf innovative, tierfreundliche Alternativen.
Fotos und Videos aus europäischen Pelztierfarmen stehen hier zur Verfügung
- Investigation einer finnischen Pelztierfarm 2024 - Füchse
- Investigation einer finnischen Pelztierfarm 2024 - Nerze & Füchse
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